Kritik zu Die Auflösung (Aktionstheater Kassel) von Esther Spiegel
„Zuschauer auf die Bühne!“, hieß es bei der Nachmittagsvorstellung von Die Auflösung beim Luaga und Losna - Festival. Die Stühle waren um eine Holzplatte verteilt, der Raum sichtbar umgestellt. Innerhalb des „Stuhlrechtecks“ ergab sich ein Bild von Dingen, die aus ihrer Ordnung gerissen und neu zusammengesetzt wurden. Das Aktionstheater Kassel mit Michael Werner, Werner Zülch, Kate Köhler (Schauspiel), Helga Zülch (Regie) und Berthold Mayrhofer (Kontrabass) brachte einen siebenseitigen Miniaturtext von Ad de Bont auf die Bühne.
Für die Betrachtung der abstrakten, skurrilen Gegenstände im
Raum bleibt den Zuschauern viel Zeit. Der Kontrabassist steht dazwischen und improvisiert.
Die Töne der jazzig angehauchten Melodien schwingen durch die Leerräume der
Bühne.
Die Vaterfigur beginnt in gekonnter Langsamkeit Routinen
auszuüben, Dinge von dort nach da zu räumen und nimmt dann auf seinem
konstruierten Hochstuhl Platz. In feierlicher Geburtstagsstimmung singt der
Vater: „Hoch soll er leben, hoch soll er leben …“ Er will lieber auf diesem
Stuhl bleiben, als sich mit dem Tod auseinander zu setzen. Der Sohn jedoch
öffnet in seiner ersten Szene den ins Bühnenbild eingebauten Sarg. Er spricht
über Verwesung, kickt Sellerieköpfe, die im Sarg aufbewahrt
waren auf der Bühne herum und zerhackt sie. „Macht es dir etwa Spaß?“ fragt der
Sohn den Vater einmal und meint das Leben. Zwischen den Dialogstellen werden
Bilder gezeigt, die sehr symbolisch sind und viel Interpretationsfreiraum
lassen.
In Ad de Bonts Text geht es ums Leben und ums Sterben.
Pointierte und messerscharfe Dialoge in verknappter Sprache zwischen Vater und
Sohn erzählen sehr viel, ohne dass Erklärung und Auserzählung nötig ist. In
ihren Auseinandersetzungen geht es auch um Ablösung, um unerfüllte Wünsche und
Erwartungen.
Am Ende erscheint dem Vater eine nackte Frau. Sein Begehren
bewegt ihn, er verlässt seinen Höhenthron und nähert sich dem Sarg. Der Sohn
zieht ihn dort hinein und schließt den Deckel. Eine Beerdigung löst das Stück
auf, der Sohn steht singend mit übergroßem Vaterbild in der Hand neben dem
Sarg. Ob deren Konflikte nun auch gelöst sind bleibt allerdings offen.
Die Schauspieler erzeugen durch ihre starke Präsenz eine
hohe Intensität. Auch wenn rational nicht alles im ersten Moment eingeordnet
werden kann, wirkt das Zusammenspiel von Musik, Sprache und Bild wie ein stimmiges
Gesamtkunstwerk. Sowohl in der Inszenierung als auch im Spiel zeigt das
Ensemble Mut, die Töne und Sätze nachklingen und die Bilder langsam wirken zu
lassen.