Kritik von „Der Gesang des Krokodils“ von „Teatro Distinto“ von Laura Nußbaumer
Foto von Virginia Malaguti |
Der Storch hat ein
Krokodil gebracht
Ein
dunkler Raum, laute Musik und das gespannte Schweigen der Zuschauer verwandeln
den Theatersaal des Pförtnerhauses in Feldkirch in ein schwarzes Loch, in dem
die Zeit still zu stehen und die Erde in ihren endlosen Kreisen zu pausieren
scheint. Man kann nicht verhindern in diese ganz besondere, schwere, schwüle
Stimmung hineingezogen zu werden und vielleicht im Takt der Musik mit dem Fuß
zu wippen.
Das Theaterstück „Der
Gesang des Krokodils“ (Buch und Regie: Daniel Gol) der italienischen Gruppe
„Teatro Distinto“ beginnt mit der Tanzeinlage einer alten Dame, die sich kaum
auf den Beinen halten kann. Hüftschwung für Hüftschwung bewegt sie sich um die
wenigen Gegenstände, die sich auf der Bühne befinden: ein Tisch, an dessen Ende
ein Storch steht und ein Stuhl. Die Dame serviert dem Storch ein Brot und
stellt sich selbst eine Schale Suppe hin. Daraufhin setzt sie sich so weit vom
Tisch weg, dass ihr Arm mit dem Löffel beim Essen so sehr gestreckt wird, dass
sie selbst an einen Storch mit seinem langen Schnabel erinnert.
Die alte Dame (Giuseppe
Palasciano) ist also ein Vogel und sogar ein schräger, aber wer taucht denn
dort aus dem Dunkeln der Bühne auf, kaum, dass die alte Dame verschwunden ist?
Wie ein Affe bewegt der zweite der beiden Schauspieler (Jacopo Fracasso) um den
Tisch herum und stibitzt das Stück Brot dem Storch unter dem Schnabel weg.
Dabei wird er aber von der alten Dame ertappt, die ihn daraufhin füttert und
bei sich aufnimmt.
Obwohl das Stück als
„Spiel ohne Worte mit Bewegung, Objekten und Musik“ angekündigt ist, muss sich
das ungleiche Paar erst einmal eine Weile anbrüllen, bis sie trotz
Sprachbarrieren dazu kommen sich vorzustellen. Dabei hat auch das Publikum
gerne mitgeholfen, als der Brotdieb Josefines Namen wiederholt als „Jofesin“
ausspricht und die jüngsten Zuschauer ihm dem Namen richtig vorsprechen. Er
selbst entpuppt sich als Josef und kaum hat er sich von der vielen Suppe, die
er mit Trichter trinken musste, erholt, geschieht das Unglaubliche: Anstatt, dass
er sich übergeben muss, erscheint in seinem Mund ein Ei!
Gar nicht glücklich
über das Ei bringt Josefine ihn dazu es im Tisch zu verstecken. Doch lange kann
Josef sich nicht davon trennen und sie stellen fest, dass aus dem Ei ein
Kro-Kro-Krokodil geschlüpft ist. „Das ist
doch kein Krokodil!“, ruft ein Kind aus dem Publikum sofort, als es das
Eidechsen-große Tier sieht. Ja, aber was ist es denn dann?
Ob das Krokodil einfach
nur ein Krokodil ist oder für eine größere Sache steht, das bleibt dem
Zuschauer überlassen. Die beiden Schauspieler haben es jedenfalls nicht leicht
mit dem Tier, als Josefine beschließt es mit ihrem Schuh zu zerdrücken und
Josef um das scheinbar tote Krokodil weint wie um einen verlorenen Sohn.
Der Storch verschwindet
vom Tisch und ein Blumenzweig wird in den mit „Sand“ gefüllten Tisch gesteckt.
Die Blütezeit hat begonnen und Josefine und Josef genießen Sonne, Sand und
Meer. Die Urlaubsatmosphäre wird nur mit Sonnenbrille, Tauchschnorchel und
Meerestieren aus Plastik erzeugt. Das totgeglaubte Krokodil kehrt als armlanges
Jungtier zurück, sehr zum Verdruss von Josefine. Erneut will sie das Tier unter
die Erde oder eher unter den „Sand“ bringen, während Josef sich vor Gram unter
den Tisch sinken lässt.
Das Krokodil ist tot
und Josef besingt sein Grab. Josefine betritt erneut die Bühne, die bereits dem
Chaos verfallen ist. Sand oder vielmehr Salz ist über Tisch, Boden und Grabstätte
verstreut, teilweise ist es nass vom „Meerwasser“ und Josefine zupft die Blüten
vom Blumenzweig ohne, dass dieser vorher verblühen durfte. Jedoch lässt sich
die Unordnung mit Salz und Wasser leicht wieder aufwischen - das Krokodil
hingegen scheint verloren.
Eine gefühlsstarke
Komposition, bei der Schauspieler die Musik mit ihrem Tanz dirigieren.
Regisseur Daniel Gol sagt selbst, das Stück habe keine Handlung, sondern nur
Emotionsbilder, die der Schauspieler zum Leben erwecken muss. Es gibt nicht
eine Geschichte, sondern viele: aneinandergereihte Bilder, deren Bedeutung man
finden muss.
Die jungen Zuschauer ab
6 Jahren haben Spaß mit der ausdrucksstarken Körpersprache der Schauspieler und
das Bedürfnis selbst in die Geschehnisse einzusteigen und auf der Bühne
mitzumischen. Wenn sie nicht dem Paar mit Kommunikationsproblemen die vielen
Tiere, die im Stück auftreten, vorsprechen wollen, dann kribbelt es ihnen
bestimmt in den Fingern genauso das Salz mit schwingenden Armen vom Tisch zu
fegen und über der ganzen Bühne zu verteilen wie Josef es getan hat. Eine
intensive Darstellung mit vielen Gefühlen, mitreißender Musik und einem
überraschend glücklichen Ende!