Kritik zu 'Don Quijote' von 'Ensemble Materialtheater' von Martin Meißner
'Mission
impossible' zwischen Schwarzwald, Schweiz und Spanien
Foto:Heinrich Hesse |
Das
Materialtheater Stuttgart gastiert beim 30. Luaga und Losna-Festival
mit einem Versuch über 'Don Quijote'.
Dass
ihr Unterfangen ohnehin ein Akt der Unmöglichkeit, schier von
vornherein zum Scheitern verurteilt ist, erklären die beiden
Figurenspielerinnen Anette Scheibler und Sigrun Kilger gleich zu
Beginn: Wie soll man ein literarisches Werk von solch monumentalem
Umfang, dazu noch von solcher Bedeutung in einen kurzweiligen
Theaterabend bringen. Dennoch wird das Ziel klar erklärt: Wir
bringen in 75 Minuten das Wichtigste unter!
Dass
es dann doch wesentlich länger wird, scheint fast im Motto der
literarischen Vorlage zu liegen: Gegen Windmühlen kämpfen! Ein Ding
der Unmöglichkeit beginnen... aber es doch immerhin beginnen, auch
wenn alles am Ende nur ein Traum, mit einer gehörigen Portion
Wahnsinn, war.
Die
zwei Akteurinnen beginnen sehr gemächlich und langsam ihr Spiel, und
schnell wird klar, dass wir längst noch nicht in der historischen
Mancha sind, sondern irgendwo an der Grenze zu Deutschland und
Schweiz, vielleicht gerade nach Feierabend. Sie beginnen ohne Hektik
zu plaudern, über sich, über das Leben, darüber dass sie
eigentlich Schwestern sind, beide aber auf verschiedenen Seiten der
Grenze aufgewachsen. Da wird auch schon mal ein Lied darüber
geschmettert, dass Fusel eben genauso wärmt wie Wein. War da sonst
noch was? Ach ja, Don Quijote! Nach einigen erläuternden Worten zur
Literaturgeschichte betritt der Titelheld die Bühne, als Puppe.
Dürr, klapprig und irgendwie ungesund wirkt dieser Alonso
Quijano aus Holz, der sich später, mit einem gelben Fressnapf auf
dem Kopf, selbst zum Ritterschlagen und in 'Don Quijotte' umbenennen
wird.
In der Ausstattung des
Ensembles Materialtheater wird ein übergroßes Exemplar des über
tausend Seiten umfassenden Wälzers von Cervantes selbst zu
Rosinante. Dass dieses Ross seinem Reiter viel zu groß ist, macht
ihn ganz offensichtlich zum 'Ritter von der traurigen Gestalt'.
Nach einiger Zeit – immer
noch im gedämpften schweizer-schwäbischen Tempo - betritt auch
Sancho Panza die Bühne, und schon geht’s los zu Heldentaten, die
eben eher Narrenproben sind: Da fliegen schon mal 'richtige Zähne',
wenn die beiden Traum-Söldner in eine Schafherde preschen, da werden
auch mal Teppichklopfer zu Windmühlenflügeln (Ein toller Moment:
Die Mühlen erzählen aus ihrer eigenen Perspektive von Don Quijotes
Angriff!). Wie Anette Scheibler und Sigrun Kilger ihrer Ausstattung
und ihren Puppen Leben einhauchen, ist skurril, witzig, oft
verblüffend. Und die Aussprüche Sancho Panzas, die trotz dessen
Unbildung (Lebens-)Weisheit besitzen, bringen uns nach dieser oder
jener Traumeskapade immer wieder auf den Boden der Tatsachen: 'Man
sucht den Speck, und erntet den Dreck!'
Und später heißt es: 'Nur
wer einen Sprung in der Schüssel hat, kann durch diesen Sprung das
Licht der Welt sehen'. Letztlich siegt die Weisheit also, da bleibt
der Galopp eben manchmal auf der Strecke, was unter Umständen an
teilweise etwas zu genauen literaturwissenschaftlichen Beschreibungen
liegen mag, und eventuell auch an einer Spielweise, die in den
gefundenen Figuren seine Berechtigung hat, aber dem zugrunde liegende
Werk, dass eben kein dramatisches sondern ein literarisches ist,
wenig entgegen setzt, um die Spannung wirklich kontinuierlich bis zum
Schluss der knapp zwei Stunden zu halten. Dennoch ein Theaterabend
voller liebevoller Details, warmherzig erzählter Lebenseinsichten
und verblüffender Bilder – wie sich zum Beispiel eine Gitarre in
den vermissten Körper der angebeteten Dulcinea verwandelt, den Don
Quijotte zärtlich in die Arme schließt.
Sehr bewegend und brilliant
inszeniert der Schluss: Cervantes und Don Quijote treffen sich
endlich Angesicht zu (Holz-)Angesicht, und der Protagonist fordert
vom Verfasser seinen Verstand zurück. Während Sancho seinen Herrn
anbettelt, doch ja nicht aus diesem Wachtraum aufzuwachen, bricht der
Tisch unter den beiden Puppen zusammen, und beide landen in der
Wirklichkeit und am Anfang: Don Quijote ist wieder Alonso Quijano.
Und muss sterben.