Kritik zu „Fliegende Kuh“ von Tanztheater „De Stilte“ von Laura Nußbaumer
Foto von Hans Gerritsen |
Was kommt zuerst? Das Huhn oder das Ei?
In diesem Theaterstück betritt als erstes ein Ei die Bühne.
Gleich zu Beginn hat die Eröffnungsvorstellung von „Luaga und Losna“ im Pförtnerhaus in Feldkirch sein Publikum in den Bann gezogen. Zum 30. Mal findet das internationale Theaterfestival für junges Publikum statt. Dieses Jahr wird es mit einem Beitrag des Tanztheaters „De Stilte“ aus der Niederlande eröffnet.
Die „Fliegende Kuh“ (Choreografie: Jack Timmermans) beginnt mit einem Ei, das auf die leere Bühne rollt. Nur kurz darauf ist auch der erste der drei TänzerInnen (Orlando Mardenborough) zu sehen, dessen lustig aussehende Tanzschritte von den Kindern in den Zuschauerreihen mit großem Gelächter begrüßt werden.
„Das gefällt uns!“, beschließt einer der jungen Zuschauer sofort für alle zusammen. „Das ist ein Spaßvogel!“
Um die Sprachbarriere zu überwinden wird, wie es im Tanztheater üblich ist, die ganze Aufführung über kein einziges Wort gesprochen und die Geschichte nur mit vereinzelten Tönen oder dezenter Musik unterstützt.
Der Spaßvogel führt ungestört vom Publikum seinen Eiertanz fort und steckt die stetig auf die Bühne rollenden Hühnereier in kleine Käfige. Dabei wird er ständig von einem verwirrenden Schnarren begleitet, dessen Ursprung er in einem Eimer findet. Der Eimer endet auf dem Kopf des Spaßvogels und er wird zum Stier, zum Minotaurus.
Danach ist er nicht mehr lange alleine auf der Bühne, als die erste der beiden Tänzerinnen (Wiktoria Czakon) als gackerndes Huhn erscheint. In Folge eines Tanzes, der das Stück bestimmt auch für sein erwachsenes Publikum verlockend macht, legt das Huhn ein Ei, das sofort vom Spaßvogel eingesammelt wird. Es kommt zu einem aufregenden Duett, das schließlich von der letzten der drei DarstellerInnen (Tessa Wouters) unterbrochen wird.
Bei so wenigen TänzerInnen müssen die Rollen auch wandelbar werden und ein Huhn wird zur gebrechlichen Bäuerin, die sich mit dem Gehstock über die Bühne zieht und Eier vom Boden aufsammelt. Während einer arbeitet, machen die beiden anderen Quatsch und hopsen und hüpfen kreuz und quer über die Bühne. Kleine Zaubertricks wie schwebende Eier werden vollführt und plötzlich wird die Bäuerin wieder zum Huhn und möchte ebenfalls mitmischen. In einem Duett, bei dem das erste Huhn nur am Rande mitmischen kann, lässt der Spaßvogel seine erste Tanzpartnerin für das neue Huhn fallen. Das erste Huhn gibt nicht auf und sie kämpfen um den Spaßvogel wie um den Hahn im Korb.
Unterdessen geht die Arbeit auf dem Bauernhof weiter und einfache Rohre werden zu Auto-Lenkrädern. Nur mit den Bewegungen der TänzerInnen und dem Brummen und Knattern, das sie mit ihren Lippen erzeugen können, werden überzeugende Bilder im Kopf des Zuschauers erschaffen. Während auf der Bühne nur zwei TänzerInnen auf dem Boden sitzen und vor sich hin brummen, fährt vor den Augen des Publikums ein Traktor über den Acker.
Dann ist der Sommer vorüber und ein Blätterregen begrüßt den Herbst im Theatersaal. Schließlich macht auch die langersehnte fliegende Kuh einen Auftritt. Eine Tanzstange mit einem aufgeblasenen Handschuh als Euter wartet darauf, dass sie gemolken wird.
Die „Fliegende Kuh“ spielt mit typisch kindlichem Verhalten, das zu einer kunstvollen Komposition verarbeitet wird. Probleme wie „Wenn du zu dritt bist, wer spielt mit wem?“ oder „Ich habe zwanzig Spielsachen, will aber unbedingt das Spielzeug haben, das mir nicht gehört.“ haben eine große Stellung durch die ganze Kindheit und oft auch noch das Erwachsenenleben hindurch. Die Nachinszenierung von Szenen auf dem Pausenhof oder im Kindergarten, wo sich zwei Freunde um einen dritten streiten, ist zum dramatischen Konflikt des Theaterstücks geworden. Fraglich ist aber, ob die gespannte Stille des Publikums vom Mitgefühl für das zurückgewiesene Huhn kommt oder vom Schock über die kalte Schulter, die der Spaßvogel dem Huhn zeigt.
Auch das Bedürfnis von Kindern ihre Eltern zu provozieren und ihre Grenzen auszutesten, ist in dem Stück gut untergebracht. „Wie oft darf ich den Becher auf den Boden schmeißen bis ich nichts mehr zu trinken bekomme?“ So scheinen die Hühner die Grenzen auszutesten, wenn sie ein Ei nicht legen, sondern es für sich behalten oder der Spaßvogel, der das Ei der Bäuerin stehlen will.
Wie das Farmleben so spielt, spielen die TänzerInnen mit den wenigen Requisiten, die ihnen zur Verfügung stehen und stellen dabei die großen Gefahren des Bauernhofs dar. Zwei schwingende Seile werden mit dem richtigen Ton zu Raubvögeln, die den Hühnern Böses wollen, Luft, die unter die Tanzbühne gebläht wird, verwandelt sich in ein Ungewitter und vom Himmel fallende Federn hüllen die Bühne in Winter und beenden das Bauernspiel.
Diese großartige Darbietung wird vor allem durch die TänzerInnen ermöglicht, die ihre Rollen mit Begeisterung spielen. Ihre Vision ist es Kindern die Möglichkeit zu geben an der Kunst teilzunehmen und einbezogen zu werden.