Kritik von „Don Quijote“ von „Ensemble Materialtheater“ von Laura Nußbaumer


Foto von Heinrich Hesse


















Alonso und Aldonza


Jeder kennt den Ritter Don Quijote von der Mancha und seinen Knappen Sancho Panza und die Geschichte, wie Don Quijote gegen Windmühlen kämpft, weil er sie für Riesen hält. Wer aber weiß, worum es in den restlichen 1399 Seiten des Buches geht?

Ein Buch von solch stattlicher Länge in ein oder zwei Stunden Theater zu packen, scheint eine unmögliche Aufgabe. Da ist klar, dass man sich lieber auf die beliebtesten Stellen beschränkt. Umso unglaublicher klingt die Behauptung von Annette Scheibler und Sigrun Kilger des deutschen „Ensemble Materialtheater“, dass sie die Geschichte des selbsternannten Ritters in nur 75, nein 50, nein sogar in 5 Minuten erzählen können!
Nach einiger Besprechung und etwa 100 Stunden Bühnenmaterial findet man dann, dass 5 Minuten doch ein bisschen kurz sind, kaum genug um den Sitzplatz anzuwärmen, und einigt sich auf 100 Minuten. Dafür nehmen sich die beiden Schauspielerinnen aber auch noch die Fortsetzung des „besten Buches der Welt“ vor.

Mit ein paar Requisiten und viel mehr Fantasie entführen die beiden Schauspielerinnen das Publikum in die karge Landschaft Spaniens, durch die Ritter und Knappe hunderte von Seiten lang reiten. Obwohl Sancho Panza seinem Freund auf den Rittergrundsatz, dass der Knappe niemals an Gefecht und Gemetzel teilhaben muss, die Treue geschworen hat, werden sie beide immer wieder ganz schön verdroschen. Fäuste schwingen und Zähne fliegen auf der Bühne und das alles mit Wortspielen, Witz und Geist und Humor. Ohne der chronologischen Reihenfolge der Kapitel zu folgen werden kreuz und quer Geschichten des Duos erzählt und auch die berühmte Windmühlen-Szene macht einen erfrischend neuartigen Auftritt!

Das ganze Stück (Regie: Alberto García Sánchez, Ulrike Monecke) hindurch bereichern die beiden Schauspielerinnen und auch Sancho Panza das Publikum mit deutschen Sprichwörtern wie „Je öfters man anhält, desto schneller kommt man voran.“ und „Ein halbes Ei ist besser als die ganze Schale.“
Im Kern geht es jedoch geht es um die Vermischung von Fantasie und Realität. Begeisterter Leser Alonso Quijano versinkt zu tief in seinen Ritterbüchern, woraufhin sein Verstand eintrocknet und „dann ist da Platz!“, also füllt er ihn mit Burgfräulein, Rittern und Zauberern. Er legt sich den Namen Don Quijote von der Mancha zu und erfindet sich eine Herzensdame, der er dienen kann: Die schöne Dulcinea del Toboso ist eine Mischung aus einem Hirngespinst des Helden und der Bauerstochter Aldonza Lorenzo.

In seinem Wahn schlägt Don Quijote sich mit Schafherden, die er für feindliche Heere hält und verwechselt schieres Pech mit den Machenschaften seines Antagonisten, der ein mächtiger Zauberer sein soll. Obwohl Sancho Panza es eigentlich besser weiß, trottet er immer auf seinem Esel hinterher und dem Versprechen eines eigenen „Eilands“ nach.
Mission des „Ensemble Materialtheater“ ist es die Imagination der Romanfiguren auf die Ebene des Schauspiels zu transformieren, dass auch die Zuschauer mit ihrer Vorstellungskraft die Handlung ergänzen müssen. Aus Alonso wird Don Quijote, aus Aldonza wird Dulcinea und aus einer Windmühle ein Riese. So wie Don Quijote sich seine Abenteuer aufregender ausmalt, als sie eigentlich sind, muss der Zuschauer seine Fantasie einsetzen um die zwei Puppen echt, den Stuhl zu einem Esel, das umgeklappte Buch zum stolzen Ross Rosinante und die Bühne zur Mancha werden zu lassen. Das Ziel ein Plädoyer für den verstaubten Helden zu schaffen, gelingt durch die Fähigkeit der Figurenspielerinnen ihre Begeisterung auf das Publikum zu übertragen.

Die Theateraufführung beweist, dass man eine Geschichte nicht unbedingt der Reihe nach erzählen muss. Mit Witz und Humor, sympathischem Puppenspiel und selbsterzeugten Soundeffekten wird der Zuschauer durch den dicken Wälzer von Miguel de Cervantes geführt. Dabei erstaunen die Schauspielerinnen immer wieder, mit wie wenig man so viel zeigen kann.
Da braucht man keine Treppe um in den Keller hinunter zu gehen, keinen Tisch um die Füße darauf abzulegen, kein Feuerzeug um die Zigarette anzuzünden und keine Flasche um sich damit einzuschenken.
„Es muss nicht immer Braten sein, eine Suppe tut es auch“, geht das Lied, das auf der Bühne gesungen wird. Man braucht die Dinge nicht zu sehen, man muss nur an sie glauben.

Beliebte Posts